Historischer Verein Wegberg e.V.

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Panorama-Aufnahme Wegberg mit Burg Wegberg, Forum, Wegberger Mühle, Rathaus und Pfarrkirche St. Peter & Paul, Foto: Heinen

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Details zur Ausstattung der Kirche St. Rochus
Die Mettlacher Platten und Fliesentableaus
im Chorraum der Kirche St. Rochus in Rath-Anhoven
Vorwort
Vielen Dank, dass Sie auch diese Seite aufgerufen haben.
Eine Beschäftigung  mit diesem Thema seitens des Historischen Vereins Wegberg fand erstmals im Oktober 2011 statt. Ich hatte die Aufgabe übernommen, eine Radtour durch die Pfarre Rath-Anhoven vorzubereiten und ein Heft im Rahmen unserer Reihe "Unterwegs in Wegberg zu erstellen. Hierbei fand ich Unterstützung beim Mitglied des Kirchenvorstandes und Pfarrgemeinderates Johannes Wyen (+2021), der sich über viele Jahre um die Angelegenheiten der Kirche gekümmert und die Renovierungsarbeiten begleitet hat. Von Ihm erfuhr ich damals, dass es sich bei den beiden Fliesentableaus um Mettlacher Fliesen der Mosaik-Manufaktur Villeroy & Boch handelt
Eine intensivere Beschäftigung erfolgte erst 2023, als weitere Renovierungsarbeiten in der Kirche anstanden.
Hermann-Josef Heinen
Chorraum der Kirche St. Rochus mit Retabel und Zelebrationsaltar
Der Boden ist mit Mettlacher Platten und zwei Fliesentableaus belegt.
Die Mettlacher Platten und Fliesentableaus in der Kirche St. Rochus
Bei den in der Beschreibung der Kirche erwähnten Renovierungsarbeiten Mitte der achtziger Jahre wurde auch der Chorraum und der Altar umgestaltet. Wie der Zeitzeuge Johannes Wyen später berichtete, wurde dabei der fest verklebte Teppichboden im Chor entfernt und man entdeckte zur allgemeinen Überraschung einen Boden mit Keramikfliesen. Das Erstaunen war um so größer, als man dabei zwei großflächige Fliesentableaus vorfand. Diese zeigten ein Motiv, das unmittelbar als „St. Georg im Kampf mit dem Drachen“ erkannt wurde und ein Motiv, das eine Tiara und zwei Engel zeigen, die einen Wappenschild halten, auf dem zwei Schlüssel abgebildet sind: ein Motiv, dass offensichtlich zu Ehren eines Papstes entstanden war..
Die Fliesentableaus wurden als Mettlacher Fliesen der Manufaktur "Villeroy & Boch" erkannt. Über die Bedeutung dieser "Entdeckung" war man sich nicht im Klaren, sodass auch keine Mitteilung an zuständige "Denkmalbehörden" erfolgte.
Wie Johannes Wyen mir berichtete, ist im Rahmen der oben genannten Umbaumaßnahmen der gesamte Fliesenboden im Chorraum aufgenommen worden und anschließend durch einen örtlichen Fliesenleger neu verlegt worden. Dies sei erforderlich gewesen, da ansonsten die Fliesentableaus durch den neuen Altar verdeckt worden wären.
Wie Johannes Wyen weiterhin erklärte, seien die Fliesen damals allerdings "falsch" verlegt worden, leider ohne dies näher zu erläutern. Inzwischen weiß ich, was er damit meinte: In den Kirchen, in denen ebenfalls diese Fliesentableaus zu sehen sind, sind diese dort stets als Raute verlegt worden, wie z.B. in Rhede (Westfalen) sowie in Raalte und Schalkwijk (beide Niederlande),
Gott sei dank sind in der Kirche St. Rochus bei der Neuverlegung der Tableaus - anders als in einigen anderen Kirchen geschehen - die umrandeten Text-Fliesen nicht vertauscht worden.
Heutige Lage des Fliesentableaus "Sankt Georg kämpft mit dem Drachen" rechts neben dem Zelebrationsaltar im Chorraum der Kirche St. Rochus, Foto: Hermann-Josef Heinen, April 2023
Heutige Lage des Fliesentableaus "Sankt Georg kämpft mit dem Drachen" rechts neben dem Zelebrationsaltar im Chorraum der Kirche St. Rochus
Fliesetableau "St. Georg", gedrehte Lage, Foto: Hermann-Josef Heinen, Juni 2025
Update, Juni 2025: Fliesentableaus "Sankt Georg" in möglicher Originalorientierung
Das Tableau "St. Georg" besteht aus einem mehrteiligen Fliesenbild, das innere Bildmotiv wiederum aus 16 Bildfliesen von 17 x 17 cm, insgesamt also 68 x 68 cm groß. Es zeigt  St. Georg als Ritter auf einem Pferd im Kampf mit dem Drachen.
Umrandet ist das Fliesenbild mit weiteren 16 rechteckigen Fliesen (17 x 8,5 cm) auf denen ein lateinischer Text zu lesen ist sowie mit vier quadratischen Fliesen (8,5 x 8,5 cm) an den Ecken des Motivs.
Dies ergibt zusammengefügt (mit Ergänzungen in Kleinbuchstaben):
GEORGIUS•FIDEL issi M u S•MILES•XRI•O
FELIX•ET•INCLITUS•DomiNI•PROELIATOR
dt.: Georg, getreuer Soldat Christi, glücklicher und berühmter Krieger des Herrn
Sankt Georg (lateinisch: Georgius) ist ein legendärer christlicher Heiliger. Er erlitt   gemäß Überlieferung unter Diokletian (284-305) ein Martyrium. Sankt Georg zählt zu den vierzehn Nothelfern. Seine Attribute, sind seine Darstellung als Ritter mit Lanze und der von ihm getötete Drache.
Zur Hervorhebung gegenüber dem restlichen Fliesenboden ist das Tableau mit einfachen grauen 8,5 cm breiten Fliesen eingerahmt, sodass sich ein Gesamtmaß von 102 x 102 cm ergibt.
Heutige Lage des Fliesentableaus "Papstwappen" links neben dem Zelebrationsaltar im Chorraum der Kirche St. Rochus
Fliesentableau "Papstwappen", plane Darstellung, Foto: Hermann-Josef Heinen, Juni 2025
Plane Darstellung des Fliesentableaus "Papstwappen" im Chorraum der Kirche St. Rochus, 85 x 85 cm
Das Tableau "Papstwappen" besteht ebenfalls aus einem mehrteiligen Fliesenbild mit den gleichen Maßen wie das Fliesentableau "St. Georg".  
Es zeigt  eine Tiara, die Papstkrone und von zwei Engeln gehaltenes Wappenschild des Papstes. Die Schlüssel sind das Attribut des Apostels Petrus und verweisen auf die Bindegewalt des Papstes als Nachfolger Petri und Stellvertreter Jesu Christ auf Erden.
Umrandet wird das Fliesenbild mit weiteren 16 rechteckigen Fliesen (17 x 8,5 cm) auf denen ein lateinischer Text zu lesen ist sowie mit vier quadratischen Fliesen (8,5 x 8,5 cm) an den Ecken des Motivs. Der Text lautet:
Dies ergibt zusammengefügt, im Uhrzeigersinn zu lesen:
CLAVES•REGNI•COELORUM•TRADID
I•TIBI•MATH•C•XVI•V•XIX
oder: claves regni coelorum tradis i tibi Math C.XVI V.XIX
dt.: Ich gebe dir die Schlüssel des Heimmelreichs, Matthäus, Capitel 16, Vers 19
Das "Papstwappen" selber gibt zunächst keinerlei Anhaltspunkte, ob ein bestimmter Papst gemeint sein könnte, der hierdurch eine Würdigung erfahren haben könnte.
Wie "St. Georg" ist auch das "Papstwappen" zur Hervorhebung gegenüber dem restlichen Fliesenboden mit einfachen grauen 8,5 cm breiten Fliesen eingerahmt, sodass sich ein Gesamtmaß von 102 x 102 cm ergibt.
Bei der Belegung des Chorraums hat man sich an den Gestaltungsvorschlägen des Musterblatts 15a der Mosaik-Fabrik Villoroy & Boch orientiert. Diese Musterblätter sind mit handschriftlichen Preisangaben versehen.
Mit den Platten No. 112c sind ca. 21 qm belegt worden, wobei unter dem Podest des Hochaltars einfache graue Platten verlegt wurden. Eingerahmt wird die Fläche mit den Läufern No. 124a und 124b.
Auf der Suche zu einer Erklärung zu den beiden Fliesentableaus
Unmittelbar drängen sich hier Fragen auf: Welche Bedeutung haben die beiden Motive? In welcher Beziehung stehen sie zu einander? Wer hat die Entwürfe hierfür gestaltet? Wann und zu welchem Anlass sind die Tableaus erfertigt worden? Auf welchen Papst bezieht sich das Motiv mit den päpstlichen Insignien?
Und um es gleich vorweg zu nehmen: Es handelt sich, wie noch ausgeführt wird, um äußert seltene Fliesentableaus. Was zu der eigentlichen Frage führt: Wann und aus welchem Anlass sind diese in der Kirche St. Rochus verlegt worden?
Die Darstellung des Heiligen Georg als Drachentöter ist allgemein bekannt. Er kämpfte aber nicht nur gegen Drachen oder Räuberbanden, sondern in gewisser Weise auch gegen den Kaiser. Und hier liegt der Schlüssel zur symbolischen Verbindung zum "Papstwappen".
Weitere Erklärungen finden Sie weiter unten auf dieser Seite unter Erläuterungen.
Schwieriger gestaltete sich die Erklärung des "Papstwappens". Die Darstellung gibt zunächst keinen Hinweis, um welchen Papst es sich handelt. Eine Bildsuche im Internet war hilfreich, wobei ich auf die Website "Die Geschichte der Fliese" von Wilhelm Joliet stieß und auf das Werksarchiv der Mosaik-Fabrik Villeroy & Boch in Mettlach aufmerksam wurde.
Nach Auskunft von Frau Dr. Christa Grund vom Firmenarchiv Villeroy und Boch in Mettlach/Merzig handelt es sich um zwei bekannte und recht seltene Motive, die 1886 den Musterblättern der Mosaik-Fabrik unter der No. 516 ("St. Georg") und No. 517 ("Papstwappen") verzeichnet sind.
Ausschnitt aus einer Mappe mit Muster-Blättern der Mosaik-Fabrik Villeroy & Boch, Mettlach 1886 (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, 32/80213)
Dieses Musterblatt wurde entworfen von Philipp Baum (1849-1886), einem Architekten mit dem Schwerpunkt auf kunstgewerbliche Arbeiten. Seine bedeutendsten Entwürfe für Villeroy & Boch sind für die Bodenfliesen aus Mettlacher Platten und die Stiftmosaike für die Stiftskirche zu Einsiedeln der Schweiz.
Zu welchem Anlass und warum Philpp Baum diesen Entwurf anfertigte und weshalb er diese Zusammenstellung von Papstwappen und St. Georg wählte, erfahren Sie weiter unten auf dieser Seite unter Weitere Erläuterungen.
Das Jahr der Entstehung bzw. der Veröffentlichung des Entwurfs 1886 lässt nun einen Rückschluss auf den damals amtierenden Papst zu. Es handelt sich um Papst Leo XIII. (* 2. März 1810 in Carpineto Romano als Vincenzo Gioacchino Pecci; † 20. Juli 1903 in Rom). Er war von 1878 bis 1903 der 256. Papst der römisch-katholischen Kirche.
Anlass dieses Entwurf war vermutlich das anstehende Goldene Priesterjubiläum von Leo XIII. zum Jahreswechsel 1987/88. Leider konnte Philipp Baum diese außerordentlichen Feierlichkeiten nicht mehr erleben.
Mehr zu diesem Papst und seinem Wirken während des Kulturkampfes sowie über die anschließende besondere Verehrung bei der katholischen Bevölkerung können Sie weiter unten auf dieser Seite unter Historische Hintergründe lesen.
Glossar: Fliesen oder  Platten?
Einige in diesem Bericht verwendeten Begriffe bedürfen einer Erläuterung.
Im heutigen Sprachgebrauch verwendet man für keramische Fußboden- und Wandbeläge zumeist den Begriff "Fliesen". Mit Fliesen werden quadratische oder rechteckige Elemente für Wand- oder Bodenbeläge bezeichnet. Sie bestehen z.B. aus Keramik, Glas, Textilien, Kunststoffen, Metallen oder Naturstein.
Daher verwundert es, wenn sich die damals namhaften Hersteller aus Mettlach und Sinzig Mosaik-Fabriken für Platten nennen. Eine gesetzlich oder in Normen definierte Unterscheidung zwischen den Begriffen Fliesen und Platten gibt es bei den keramischen Produkten nicht, deshalb werden beide Bezeichnungen verwendet. Umgangssprachlich werden Fliesen oftmals Kacheln genannt, diese Bezeichnung ist falsch, bei Kacheln handelt es sich um einen Begriff aus dem Bereich des Ofenbaus, Kacheln sind keramische Außenbekleidungen von Öfen.

Exkurs: Hersteller von Mosaikplatten in Mettlach und Sinzig
Die Villeroy & Boch AG geht auf eine Töpferei in Autun-le-Tiche in Lothringen zurück, die der Eisenschmelzer Jean-François Boch (1700-1754) 1748 dort gegründet hatte. Der heutige Name entstand 1836 anlässlich der Fusion mit der Steingutfabrik Villeroy. Diese war 1791 von Nicolas Villeroy (1759-1843) in Wallerfangen ins Leben gerufen worden. 1843 eröffnete das erste gemeinsame Werk, die Cristallerie.
Der Hauptsitz von Villeroy & Boch befindet sich in der Alten Abtei in Mettlach, einem Klostergebäude, das während der Französischen Revolution aufgegeben wurde. Das Gebäude wurde 1809 von Jean-François Boch erworben, um dort eine weitgehend mechanisierte Geschirrfabrikation einzurichten.
Heute beherbergt das Gebäude u.a. die "Keravision" mit integriertem Keramikmuseum zur Firmengeschichte, den Nachbau des berühmten Milchladens der „Dresdner Molkerei Gebrüder Pfund“ sowie die Erlebniswelt Tischkultur.
Die "Alte Abtei" in Mettlach: heute Hauptsitz von Villeroy & Boch
Als in der Nähe Mettlachs Archäologen auf ein römisches Bodenmosaik stießen, wurde Eugen von Boch mit der Restaurierung des alten Mosaiks betraut. Inspiriert durch diesen archäologischen Fund begannen er und seine Techniker mit Materialexperimenten zur Herstellung von Fliesen. Sie erarbeiten ein Produktions-verfahren, das enorme Abriebfestigkeit mit extravaganter Ästhetik verbindet. Diese Fliesen, seit 1852 in Mettlach hergestellt, werden als „Mettlacher Platten“ weltweit ein großer Erfolg. Die Nachfrage war so stark, dass 1869 eine auf Fliesen spezialisierte Fabrik gebaut wurde, die „Mosaikfabrik“.
1879 übernimmt Villeroy & Boch ein weiteres Werk in Merzig. Beide entwickeln sich mit zu den größten Produktionsstätten der Welt für Wand- und Bodenfliesen.
Das größte römische Mosaik in Deutschland wurde 1852 in der römischen Villa von Nennig der saarländischen Gemeinde Perl entdeckt. Das sogenannte Gladiatorenmosaik misst 15,65 × 10,30 m und zeigt zwischen flechtbandverzierten Rautensternen sechs figürliche Bildfelder mit Szenen aus dem Amphitheater. Es ist an Ort und Stelle unter einem Schutzbau aus dem Jahr 1874 konserviert.
Bochs "Erfindung" prägte die Architektur der Gründerzeit bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts – Steinzeugfliesen zieren noch heute Bauten von Moskau bis New York. Doch nur die tatsächlich vom saarländischen Unternehmen hergestellten Platten tragen zu Zwecken der  Distinktion als Markenbezeichnung auf der Rückseite die Prägung  «Villeroy & Boch, Mettlach».
Mit diesen Mosaikplatten wurden zunächst - entsprechend dem Boom an neuen Eisenbahnlinien - Bahnhöfe ausgestattet. Ab den 1870er Jahren traten Kirchen hinzu, insbesondere ab den 1880er Jahren im Zuge der Entspannung des Kulturkampfes in Württemberg, Elsass-Lothringen, den linksrheinischen Bistümern Trier, Aachen und Köln sowie im Ruhrgebiet, wie auch Schlösser und Villen, seit den 1890ern auch Krankenhäuser, Molkereien und Maschinenräume.
1890 gestaltete Villeroy & Boch die Bodenmosaike für den Kölner Dom, ein Bauwerk von hohem nationalen Symbolgehalt, das im 19. Jahrhundert  wiederaufgebaut wurde. Innerhalb von fünf Jahren wurde dieses 1300 qm messende Mosaik angefertigt und verlegt.
Quelle: > Geschichte des Unternehmens: https://www.villeroyboch-group.com/de/unternehmen/unsere-geschichten/von-damals-bis-heute.html
Herstellungsverfahren
Für die Herstellung der 17 x 17 cm großen Platten werden sogenannte Pressschablonen verwendet. Die verschieden farbigen Feinsteinzeug-Tone werden von Hand in diese Form gefüllt. Nach dem Entfernen der Schablone werden diese als ca. 3 mm dicke Intarsienschicht mit dem Trägergranulat verpresst und anschließend gebrannt.
Die Mettlacher Platten waren besonders abriebfest und damit langlebig, temperaturbeständig und leicht verlegbar. Sie kamen in großem Maße in der Gründerzeit mit ihrem Bauboom in den Städten zum Einsatz. Die zahlreichen Muster, Farben und zusammengefügten teppichähnlichen Formen entstehen aus je einer Grundplatte in den Maßen 17 mal 17 cm.
In einem Lexikon aus dem Jahre 1908 wird das Herstellungsverfahren detailliert beschrieben:
„Mettlacher Platten, auf trockenem Wege geformte, bis zur Sinterung gebrannte, in der Masse gefärbte Tonplatten mit einfarbiger oder gemusterter Oberfläche. Dieselben bestehen aus zwei Masseschichten, von welchen die obere in feinerer Vorbereitung das Muster erhält, während die untere, in stärkerer Lage hergestellt, als Füllmasse dient. Bei der Herstellung wird die fein zerkleinerte Masse von Hand in Formen geschüttet, die unter Preßstempel geschoben werden, welche das Tonpulver stark zusammenpressen; zur Bewegung der Preßstempel wird hydraulischer Druck benutzt. Für die Anfertigung gemusterter Platten werden Schablonen verwendet, welche mit farbig brennenden Tonen gebrannt werden; die Schablonen werden vor der Pressung der Platten aus dem eingegebenen Tonpulver herausgezogen.“
– Otto Lueger: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften (Band 6). Stuttgart/Leipzig 1908.[9]
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Villeroy_%26_Boc
Das Werksarchiv der Mosaik-Fabrik Villeroy & Boch in Mettlach
Im Werksarchiv der Firma Villeroy & Boch gibt es ein "Verzeichnis der größeren öffentlichen Bauten", in welchen in den Jahren 1852 bis 1894 Mettlacher Mosaik- und Wand-Platten-Verblender sowie Stiftmosaiken ausgeführt wurden.
Dem Verzeichnis des Werksarchivs können detaillierte Informationen über Jahrgang, Namen der Bauten bzw. Kirchen, Verlegeorte und verlegte Fläche entnommen werden, so sind z.B. auf Seite 29 für die kath. Kirche in Immerath bei Erkelenz sind im Jahr 1890 450 qm Mettlacher Mosaikplatten nachgewiesen. Leider finden sich keine Hinweise für die Verlegung in der Kirche St. Rochus Rath-Anhoven.


Eine materialisierte Geschichte «von unten» (2021) Von Christiane Sibille
https://mhistories.hypotheses.org/972

Unternehmensarchiv der Villeroy & Boch AG Mettlach,   
       Rotensteinerweg     ,     
     66663   Merzig   
> Villeroy & Boch : Ausgefuhrte Arbeiten : mit Erzeugnissen der Werke Mettlach, Merzig, Dresden, Danischburg, Breslau-Deutsch Lissa, Bonn. 1929
# https://archive.org/details/VilleroyBochAusgefhrteArbeitenMitErzeugnissenDerWerkeMettlach/page/n287/mode/2up
Häufig sind neben dem Mosaikplatten aus Mettlach auch solche der Mosaik-Fabrik aus Sinzig verlegt worden, wie z.B. Platten mit Tiersymbolen aus den Katalogen 1895 und 1898.
Katalog von 1898
Auschnitt aus dem Katalog der Mosaik-Fabrik in Sinzig "Unsere Muster" aus dem Jahr 1895. Diese Platten sind z.B. in der Annaberg-Kapelle bei Haltern am See verlegt worden.
Briefkopf der Firma
1870 trat de Bonner Unternehmer Ferdinand Frings in Konkurrenz zu der 1869 von Villeroy & Boch in Mettlach gegründeten Plattenfabrik, der ersten auf dem europäischen Festland.

Seit 1870 sind nahezu ununterbrochen „Sinziger Plättchen“ hergestellt worden. Den Sinzigern ist die Fabrik unter dem Namen „Plattenfabrik“ oder „Mosaikfabrik“ geläufig, vielfach wird auch noch der alte Firmenname AGROB verwendet, obwohl die Fabrik heute zur Deutschen Steinzeug Cremer & Breuer AG (DSCB) gehört.
1. Mencher, Agnes: 140 Jahre Fliesen aus Sinzig. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2011, S. 53-57

Vorläufiges Resumee (März 2025)
Von den bislang bekannten Verlege-Orten, 3 in Deutschland und 4 in den Niederlanden, ist bereits Dortmund durch Kriegseinwirkung ausgeschieden.
Zudem sind die gemäß dem Entwurf von Philipp Baum eigentlich zusammengehörigen Fliesentableaus "St. Georg" (No. 516) und "Papstwappen" (No. 517) noch seltener zusammen in einer Kirche zu finden.
in Deutschland:
  • In der Liebfrauenkirche in Dortmund sind beide Motive zerstört,
  • in der Kapelle St. Anna in Haltern am See sind beide Motive gut erhalten.
  • in der Kirche St. Gudula in Rhede ist nur "St.Georg" vorhanden.
in den Niederlanden:
  • In der Kreuzerhöhungsbasilika in Raalte sind beide Motive vorhanden. Das "Papstwappen" ist zweifach verlegt worden.
  • Aus der zerstörten Kirche Petrus und Paulus in Hengevelde sind beide Motive dank des Pfarrers gerettet worden und haben 1953 im Neubau der Kirche ihren Platz gefunden. Hier fehlt noch ein eigener Foto-Nachweis.
  • In der Kirche St. Michael in Schalkwijk ist nur "St. Georg" vorhanden,
  • ebenso in St. Antonius in Kortenhoef. Auch dort fehlt noch ein Foto-Nachweis.
Die beiden zusammengehörigen "St. Georg" und "Papstwappen" sind nur in 4 Kirchen zu finden: außer in der Kirche St. Rochus in Rath-Anhoven, in der Annaberg-Kapelle bei Haltern an See und in der Kreuzerhöhungsbasilika in Raalte (NL) vorhanden sowie, allerdings ohne Umrandung, in der Kirche Petrus und Paulus in Hengevelde (NL).
Als Einzelmotiv ist "St. Georg" in 3 Kirchen zu sehen: in Rhede, in Schalkwijk und in Kortenhoef zu sehen. Das Motiv "Papstwappen" ist als Einzelmotiv vermutlich in keiner Kirche verlegt worden.
Trotz aller Recherchen konnte letztlich nicht die Frage geklärt werden, warum und wann derart selten verlegte Bildplatten der Mosaik-Fabrik Villeroy & Boch in der Pfarrkirche, der heutigen Filialkirche "St. Rochus" in Rath-Anhoven verlegt worden sind.
Nichtsdestotrotz: Die Suche geht weiter. Lesen Sie bitte weiter unter ...

Weitere Erläuterungen
Der  Heilige Georg (lateinisch St. Georgius, ndl. St. Joris) ist ein beliebter Heiliger und er zählt zu den vierzehn Nothelfern. Der Überlieferung nach wurde er zu Beginn der Christenverfolgung unter Diokletian (284–305) wurde zum Tode verurteilt und im Jahre 303, im Alter von etwa 22 Jahren, enthauptet.
Die Legende vom Drachentöter Georg, der das Land von einem tyrannischen Drachen befreit, wenn sich das Volk dafür taufen lässt, kam im 12. Jahrhundert auf und ist in der mittelalterlichen Textsammlung Legenda aurea überliefert.
Sein Symbol in der Heraldik ist das Georgskreuz. Das rote Kreuz auf weißem Grund ist in vielen Wappen und Flaggen enthalten. Heiligenattribute, die neben dem Georgskreuz als Erkennungszeichen des Heiligen dienen, sind der Drache sowie seine Darstellung als Ritter mit Lanze auf einem Pferd; teils wird Georg auch mit dem Palmwedel des Martyriums dargestellt.
Es gibt nur wenige Informationen über Georgs Leben. Pilgerberichte und Kirchenweihen sind jedoch bereits aus dem 4. Jahrhundert bezeugt, so dass also einiges für seine historische Existenz spricht. Aufgrund der Unklarheit darüber wurde Georg in der römisch-katholischen Kirche 1969 aus dem römischen Generalkalender gestrichen, jedoch 1975 wieder eingefügt.
Der Kampf mit dem Drachen wurde später der Legende zugefügt und symbolisiert den mutigen Kampf gegen das Böse.

>>> VB: Der Heilige Georg kämpfte aber nicht nur gegen Drachen oder Räuberbanden, sondern in gewisser Weise auch gegen den Kaiser. Denn der befahl im Jahr 303, dass die christlichen Kirchen zerstört und der hohe Klerus verfolgt werden sollte. (Domradio: https://www.domradio.de/artikel/heiliger-georg-symbolisiert-den-einsatz-fuer-die-menschen)


Und hier ist eine mögliche Erklärung zu finden, warum Philipp Baum in seinem Entwurf für die Mosaik-Fabrik in Mettlach das Motiv "St. Georg" (No. 516) neben das "Papstwappen" (No. 517) zu einem gemeinsamen Bild zusammengesetzt hat. Es ist zu vermuten, dass Baum hier den erfolgreichen Kampf Georgs gegen den Drachen, d.h. gegen das "Böse", und den Kampf von Papst Leo XIII. gegen Bismarck während des Kulturkampfes, der für die katholische Kirche ebenfalls erfolgreich endete, in einen symbolischen Zusammenhang stellen wollte.



Historische Hintergründe:
Der Kulturkampf und die besondere Verehrung von
Papst Leo XIII. bei der katholischen Bevölkerung
Die Frage, die sich zu Beginn stellte:  Aus welchen Gründen hat Philipp Braun im Jahr 1880 das abgebildete Musterblatt mit dem Papstwappen für die Mosaik-Fabrik Villeroy & Boch entworfen?
Im Besonderen die Zusammenstellung mit dem Motiv "St. Georg" verweist auf den erfolgreich beendeten Kulturkampf. Hierdurch erlangte Papst Leo XIII. eine große Verehrung bei der katholischen Bevölkerung liegen.

Mehr zum Begriff des "Kulturkampfes" können Sie bei der Bundeszentrale für politische Bildung erfahren. Lesen Sie hierzu den Auszug weiter unten.


Karikatur von Wilhelm Scholz zur Beendigung des Kulturkampfes. Papst und Reichskanzler fordern sich gegenseitig zum Fußkuss auf, im Hintergrund Ludwig Windthorst.

Karikatur „Modus vivendi“ aus dem Kladderadatsch, 1878. Die Bildunterschrift lautet: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler Bismarck: „Bitte gleichfalls!“
Kladeradasch? - Nr. 14/15, 18. März 1878.





Wer war dieser Papst Leo XIII.?
Sie können zwar den nachfolgenden Text Text lesen, alles Wissenswerte erfahren Sie auch beim Hören der Radiosendung des NDR erfahren:
Leo XIII. (* 2. März 1810 in Carpineto Romano als Vincenzo Gioacchino Pecci; † 20. Juli 1903 in Rom) war von 1878 bis 1903 der 256. Papst der römisch-katholischen Kirche.
Leo XIII. ist als politischer Papst in die Geschichte eingegangen. Die von vielen gefürchtete Dogmenhäufung nach der Unfehlbarkeitserklärung aus dem Jahre 1870 unter Pius IX. blieb aus. Wohl aber kann man Leo XIII. den ersten Enzyklikenpapst nennen; er verfasste 86 dieser päpstlichen Rundschreiben, darunter sieben zur Marienverehrung. Sein Ziel war es, die Kirche aus ihrer selbstgewählten Isolation gegenüber den neuzeitlichen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen herauszuführen, jedoch war er von der Notwendigkeit einer „zeitlichen Macht“ (Kirchenstaat) des Papstes überzeugt. Einerseits orientierte er sich an der hochmittelalterlichen Ordnung von Kirche und Staat, andererseits verfasste er die erste Sozialenzyklika der römisch-katholischen Kirche und wertete damit die katholische Soziallehre  auf. Wegen seiner Anteilnahme an sozialen Fragen wurde er mit dem Attribut „Arbeiterpapst“ und dem Beinamen „der Soziale“ bekannt.
Leo XIII. starb am 20. Juli 1903 in Rom im Alter von 93 Jahren.
Stärkung der Katholischen Soziallehre
Die berühmte Enzyklika Rerum Novarum (dt. Geist der Neuerung) 1891 begründete den Ruf Leos XIII. als „Arbeiterpapst“. Er prangerte die Ausbeutung der Arbeiter an und wies auf ihre Verelendung infolge der Industrialisierung hin. Zudem beschrieb er deren negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Staat und zeigte einen Weg zur Besserung der Verhältnisse auf. Gleichzeitig wandte er sich gegen den Sozialismus als Ausweg aus der Misere und befürwortete das Privateigentum. Der Papst entwickelte mit dieser Enzyklika eine Lehre von der menschlichen Person und ihren Rechten, von der Ordnung der Wirtschaft, von der Koalitionsfreiheit der Arbeiter und der sozialen Verpflichtung des Staates. Arbeitsschutz sei eine staatliche Aufgabe, ebenso der gesetzliche Rahmen für die Arbeiterrechte. Seitdem kann man von einer lehramtlich fundierten kirchlichen Soziallehre sprechen. Diese Enzyklika wird als die „Mutter aller Sozialenzykliken“ betrachtet; die nachfolgenden Päpste bezogen sich darauf mit „Fortentwicklungsenzykliken“. Laut André Habisch, Professor für Wirtschafts- und Sozialethik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, ist die Enzyklika bis in die Gegenwart prägend für die deutsche Wirtschaftsordnung.

Das Goldene Priesterjubiläum von Papst XIII.
Das Jubiläum im Jahre 1887 gab Anlass für große Feierlichkeiten, nicht nur in Rom, wo sich die Feiern über mehrere Wochen hinzogen, sondern auch in vielen deutschen Städten, so in Aachen und Köln. Hier war Leo XIII. offensichtlich sehr belebt, hatte er die beiden Städte bereits während seiner Zeit als päpstlicher Nuntius in Brüssel besucht.

Pressenotiz vom 25. Dezember 1887 in der Zeitung "Echo der Gegenwart" aus Aachen. (> zum Vergrößern anklicken)
Anlässlich des 50jährigen Priesterjubiläums fanden auch in Aachen große Feierlichkeiten mit einem umfangreichen Programm statt, so mit feierlichem Tedeum, großem Festzug, großer Festversammlung und Illumination des Doms durch bengalische Beleuchtung. Zur Teilnahme wurden Vereine und Bürgerschaft aufgerufen und "so unserer alten Kaiserstadt Aachen auch bei dieser außerordentlichen Gelegenheit neuen Glanz zu verleihen", wie am 25. Dezember 1887 in "Echo der Gegenwart" zu lesen war.

Zusätzlich veröffentlichte das "Echo der Gegenwart" zu Weihnachten 1887 eine mehrseitige Festzeitung als Beilage.

Aber nicht nur in den großen Städten wurde das Goldene Priesterjubiläum Leo's XIII. gefeiert, sondern auch in Wegberg wurde am 27. Dezember 1887 mit einem Ehrentag begangen, wie in der Zeitung "Echo der Gegenwart" am 5. Januar 1888 zu lesen ist:

Zusammenstellung aus "Echo der Gegenwart" vom 5. Januar 1988
> zum Vergrößern bitte anklicken oder hier nachlesen:
Wegberg, 27. Dez. Das fünfzigjährige Priesterjubiläum Leo XIII. wurde hier recht glänzend gefeiert. Das Komite hatte ein Programm entworfen, wie es umfassender in größeren Städten nicht aufgestellt werden konnte. Die Feier gestaltete sich nicht nur zu einem Ehrentage für das Oberhaupt der Kirche, sondern auch zu einem Ehrentage für Wegberg selbst, welches seiner katholischen Gesinnung dabei unverkennbar Ausdruck gab. Am Vorabend kündigten längeres Glockengeläute und Böllerschüsse das Fest an, während am Morgen die Feier durch Choralmusik am Südportale der Pfarrkirche eingeleitet wurde. Sämmtliche Straßen des Ortes prangten in reichstem Flaggenschmucke, und viele Häuser zeigten in Transparenten bald das Bild des h. Vaters, bald das päpstliche Wappen. Gegen 9 Uhr bewegte sich ein prächtiger Festzug vom Lokale des St. Josepsvereins aus zur Kirche. Derselbe wurde eröffnet von der Kapelle des St. Josephsvereins, ihr folgte der Kirchenchor mit seiner neuen schönen Fahne mit dem wegberger Wappen geschmückt, drei goldene Aehren auf blauem Grunde; das Spruchband zeigt die Devise:„crescat, ut alat“. Ihm reihte sich der St. Josephsverein an mit seinen beiden Fahnen, deren eine, ein Kunstwerk der Schwestern vom armen Kinde Jesu, noch immer zur Bewunderung hinreißt. Wir bemerkten weiter den kath. Bürgerverein, der unter dem neuen päpstlichen Banner recht freudig und wacker einherschritt. Der Kriegerverein trat sogar mit einem besonderen Musikchore auf; seine geschmackvolle Fahne war die sechste im Zuge. Auch die Gemeindeverordneten mit dem Herrn Bürgermeister Hoeren, die kirchliche Gemeindevertretung und der Kirchenvorstand nahmen an dem Festzuge Theil. Das Hochamt celebrirte Herr Pfarrer Braun unter Assistenz des Herrn Kaplans Baum.
Einen herrlichen Verlauf nahm die eigentliche Festfeier im lohrenschen Saale. Herr Wilhelm Scheres, ein Mitglied des St. Josephsvereins, sprach den Prolog. Nachdem der Kirchenchor mehrere auf das Fest bezügliche Lieder zum Vortrage gebracht hatte, hielt Herr Kaplan Baum die Festrede. Er wies hin auf die Bedeutung des Tages und schilderte in ergreifenden Worten das Wirken des h. Vaters in seiner dreifachen Würde als oberster Hirt, Lehrer, Priester, sowie als Friedensfürst, dem auch die deutschen Katholiken zum Danke verpflichtet seien. Es gelangte dann das Festspiel „St. Petrus" durch Mitglieder des St. Josephsvereins zur Aufführung. Die Dichtung, von einem in Gelehrtenkreisen vielgenannten Protestanten für die Feier des Tages verfaßt, behandelt in sieben Bildern die Hauptmomente aus dem Leben des Apostelfürsten. Während die Festversammlung tagte, hatte der Kriegerverein eine Separatfeier, bestehend in einem Konzerte, veranstaltet.
Gegen ½8 Uhr ordnete sich der Fackelzug. Vorauf schritt die Feuerwehr mit Pechfackeln, es folgten die Vereine derselben Ordnung wie beim Festzuge. Kein Haus gab es, welches nicht im Kerzenscheine funkelte, selbst Andersgläubige hatten illuminirt. Die Straßen, durch welche der Zug seinen Weg nahm, erglänzten in bengalischem Feuer. Auch die Kirche war hübsch beleuchtet, und Raketen, die von Zeit zu Zeit aufstiegen, Sonnen und anderes Kunstfeuerwerk erfreuten die Zuschauer, unter denen viele von auswärts herbeigeströmt waren, um Zeuge des schönen Festes zu sein. Den Wegbergern wird der Tag, der ihnen so sehr zur Ehre gereichte, unvergeßlich bleiben.

Gedenkmedaillen zum fünfzigsten Priesterjubiläum


Ein Diskurs zur deutsche Geschichte: Der Kulturkampf
Hier der Auszug zum Begriff des "Kulturkampfes" und dessen Ende ab 1880
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung (2015)
Das erste "Milderungsgesetz" am 14. Juli 1880 leitete das Ende des "Kulturkampfes" ein. Otto von Bismarck wollte die Trennung von Kirche und Staat ausbauen. Seinen Kampf gegen die katholische Kirche und deren politische Vertretung, die Zentrumspartei, hatte der Reichskanzler mit einer Reihe von Gesetzen geführt.
Als der preußische König Wilhelm I. am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen wurde, hatte Otto von Bismarck sein Jahrzehnte altes Ziel verwirklicht, das Reich "von oben" zu einen. Doch in der Wahrnehmung des Reichskanzlers und vieler Zeitgenossen war das Reich vom Moment seiner Gründung an von inneren Feinden bedroht. Die größte Gefahr für die nationale Einheit des preußisch-protestantisch geprägten Kaisertums waren in Bismarcks Augen die katholische Kirche und ihre Anhänger.
Die Karikatur, erschienen Mai 1875 in "Kladderadatsch", befasst sich mit dem Kulturkampf zwischen der katholischen Kirche und Otto von Bismarck an.
In der Karikatur sieht man Otto von Bismarck und Papst Pius IX, die Schach spielen. Die Schachfiguren sehen aus, wie Geistliche, Politiker, Journalisten oder §-Zeichen. Einige Figuren sind bereits geschlagen.
In der unteren linken Ecke des Tisches ist beispielsweise zu sehen, dass bereits mehrere Bischöfe von Bismarck inhaftiert (interniert) wurden. Manche Schachfiguren tragen Worte wie beispielsweise Interdict, Encycl, Syllab und Klostergesetz. Der Papst trägt sein päpstliches Gewand und eine Pileolus Kappe. Pius IX. schmunzelt und überlegt, wie er das Spiel gewinnen könnte. Otto von Bismarck trägt seine Uniform und schaut ihn hingegen überlegen beziehungsweise siegessicher an.
Ultramontanismus und Unfehlbarkeisdogma
Seit 1870 existierte mit der Zentrumspartei, eine politische Vertretung der katholischen Minderheit. Bereits ein Jahr später zog die Partei als drittstärkste Fraktion in den Reichstag ein. Aus Sicht Bismarcks war sie ein Sammelbecken der Gegner der nationalen Einheit. Denn die katholische Kirche unter Papst Pius IX. lehnte den Liberalismus und den säkularen Staat ab. Das 1870  erlassene "Unfehlbarkeitsdogma" sprach dem Papst gar Unfehlbarkeit in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre zu. Der Zentrumspartei wurde dabei die politische Haltung des "Ultramontanismus" vorgeworfen. Der Begriff  wurde unter Bismarck zum Schlagwort für die vermeintliche  Vatikanhörigkeit der Katholiken  (von lateinisch "ultra montes", jenseits der Berge).
Das  Ziel des Reichskanzlers Bismarck war die Trennung von Kirche und Staat  und die Schwächung der Zentrumspartei. Sie stand in politischer Opposition zu den Freikonservativen und den Nationalliberalen, mit denen  Bismarck im Parlament zusammenarbeitete. Ende des 19. Jahrhunderts war der Antikatholizismus unter den Anhängern des Liberalismus weit verbreitet, sowohl in Preußen als auch in großen Teilen Europas. Mit  seinem Angriff auf die Katholiken sicherte sich der Reichskanzler die Unterstützung liberaler Journalisten und der Politiker der Nationalliberalen Partei. Im neuen Reichstag und preußischen  Abgeordnetenhaus waren sie die stärkste Kraft und zu unverzichtbaren  Verbündeten geworden.
Gesetze gegen die katholische Kirche
Der  Begriff "Kulturkampf“ für die sich entfaltende Auseinandersetzung wurde von dem linksliberalen Politiker Rudolf Virchow geprägt. Wann genau die  Bezeichnung zuerst fiel, ist nicht vollständig geklärt: Virchow verwendete sie ab 1872 oder 1873 als Charakterisierung des Vorgehens  Bismarcks gegen die katholische Kirche in seinen Reden im preußischen  Abgeordnetenhaus. Der Begriff ist unabhängig vom Zeitpunkt seiner  Entstehung als Bezeichnung für den Konflikt zwischen dem Deutschen Reich und der katholischen Kirche in die Geschichtsschreibung eingegangen.
Die Rechte der Kirche beschnitt Bismarck ab den frühen 1870er Jahren mittels einiger Reichs- und preußischer Landesgesetze. Auf der einen Seite standen Gesetze, die die Säkularisierung in Preußen und im Deutschen Kaiserreich beförderten. Ihr vorrangiges Ziel war es zwar, die katholische Kirche und deren politischen Arm zu schwächen, sie betrafen aber auch die protestantische Kirche und ihre Geistlichen, indem sie kirchliche Befugnisse –  zum Beispiel in Bildung und Eheschließung – zugunsten des Staates beschnitten. Auf der anderen Seite gab es Gesetze, die sich ausschließlich gegen die katholische Kirche richteten. So wurden Klöster verboten und die Zahlung staatlicher Mittel nur an die katholische  Kirche ausgesetzt.
Den Anfang des "Kulturkampfes“ markiert der so  genannte "Kanzelparagraph“, der im Dezember 1871 als Reichsgesetz  eingeführt wurde. Geistliche jeglicher Konfession, die in der Ausübung  ihres Amtes staatliche Angelegenheiten kommentierten, konnten demnach  mit einer Haftstrafe belegt werden.
Im preußischen "Schulaufsichtsgesetz" wurden ein Jahr später alle Schulen unter staatliche Kontrolle gestellt. Allen Kirchen in Preußen, auch der protestantischen, wurde damit die geistliche Aufsicht über die Schulen entzogen. Noch im selben Jahr wurde im gesamten Reichsgebiet der Jesuitenorden verboten.
Alle  diplomatischen Beziehungen zum Vatikan wurden abgebrochen. Die katholische Kirche reagierte empört auf die neuen Gesetze: 1872  protestierte die Fuldaer Bischofskonferenz gegen die kirchenfeindlichen  Maßnahmen mit einer Denkschrift, Papst Pius IX. bezeichnete sie  gegenüber seinen Kardinälen als "Kirchenverfolgung".
Weitere  Maßnahmen zur Reglementierung der katholischen Kirche folgten: Die Maigesetze vom 11. Mai 1873 bildeten schließlich einen Höhepunkt des "Kulturkampfes" in Preußen. Dort erließ man ein Gesetz, das dem Staat  ein Einspruchsrecht bei der Anstellung von Geistlichen gewährte. Voraussetzung für die Beschäftigung war ein Studium an einer deutschen Universität und die Absolvierung eines "Kulturexamens". Ein "Königlicher Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten" wurde ins Leben gerufen. Kirchenaustritte wurden gesetzlich geregelt und erleichtert.
Einführung der allein gültigen Zivilehe
Nach  der Bildung drang der Staat in ein weiteres Kompetenzgebiet der katholischen Kirche ein: Erst in Preußen (1874), dann im gesamten  Kaiserreich (1875) wurde die Zivilehe als allein gültige Form der Ehe eingeführt. Mit dem preußischen "Brotkorbgesetz" wurden sämtliche staatliche Geldzuwendungen an die katholische Kirche gestoppt, bis die  Geistlichen die neuen Gesetze ausdrücklich akzeptierten. Das Klostergesetz verbot alle Orden in Preußen, die nicht ausschließlich mit der Krankenpflege betraut waren. Außerdem wurden das katholische Vereins- und Pressewesen stärker überwacht und der Religionsunterricht mehr kontrolliert.
Gleichzeitig nahmen die Sanktionen gegen Vertreter der katholischen Kirche zu. Allein innerhalb der ersten vier  Monate des Jahres 1875 wurden 136 katholische Zeitschriftenredakteure zu Geldstrafen verurteilt oder inhaftiert. Im selben Zeitraum wurden 20  katholische Zeitungen konfisziert, 74 katholische Gebäude durchsucht, 103 katholische politische Aktivisten ausgewiesen oder interniert. 55 katholische Organisationen und Vereine wurden geschlossen.
Bis zum Ende der 1870er Jahre hatte die katholische Kirche im Deutschen  Reich erheblich an Einfluss verloren, ihre Lage war verheerend: Über die Hälfte der katholischen Bischöfe Preußens befand sich 1878 entweder im Exil oder im Gefängnis. In einem Viertel aller preußischen Pfarreien gab es keinen Priester. Am Ende des "Kulturkampfes" waren mehr als 1800 Priester inhaftiert oder des Landes verwiesen. Kirchenbesitz im Wert von 16 Millionen Goldmark war beschlagnahmt worden.
Bismarck verfehlte sein Ziel
Sein Ziel, mit den kirchenpolitischen Maßnahmen das Zentrum und den politischen Katholizismus zu schwächen, erreichte der Reichskanzler nicht. Im Gegenteil, die Sanktionen und Diskriminierungen führten zu einem stärkeren Zusammenhalt der katholischen Bevölkerung und zu einer Welle der Solidarität mit den in Not geratenen Geistlichen. Das Zentrum konnte bei den Reichstagswahlen 1874 sein Ergebnis um 9,3 Prozent der Stimmen auf 27,9 Prozent steigern. Als  Papst Pius IX. 1878 starb und sein Nachfolger Leo XIII. Gesprächsbereitschaft signalisierte, zeigte auch der Reichskanzler seinen Willen, den "Kulturkampf" zu beenden. Nachdem Bismarck in der Folge des Streits um die Militärorganisation mit den Nationalliberalen brach, konnte er im Parlament nicht mehr auf ihre Unterstützung zählen und näherte sich der Zentrumspartei an, um weiterhin eine Mehrheit für seine Vorhaben zu erreichen. Mit den erstarkenden Sozialdemokraten war in den Augen des Reichskanzlers zudem eine neue, noch größere Gefahr für die Gesellschaft aufgekommen. Das erste Milderungsgesetz vom  14. Juli 1880 leitete das Ende des "Kulturkampfs" ein: Dadurch wurden die Bischöfe vom Staatseid befreit und die preußische Regierung ermächtigt, wieder Zahlungen an die Kirche vorzunehmen. In der Folge wurden fünf Bistümer wieder neu besetzt.
1882 und 1883 folgten das zweite und dritte Milderungsgesetz, die weitere Restriktionen aufhoben: Demnach wurde das Kulturexamen abgeschafft und bischöfliche Weihe- und Amtshandlungen wurden für straffrei erklärt. Von den Maßnahmen, die Bismarck im "Kulturkampf" in die Wege geleitet hatte, blieben das Jesuitengesetz bis 1917, der Kanzelparagraph bis 1953 und die Zivilehe sowie die staatliche Schulaufsicht bis heute bestehen.
Folgen des "Kulturkampfes" für Politik und Gesellschaft
Die katholischen Bevölkerungsteile wurden während des "Kulturkampfes" als Bürger zweiter Klasse behandelt, indem sie sozial ausgegrenzt und staatlich verfolgt wurden. Viele von ihnen reagierten darauf mit einer solidarischen Hinwendung zur katholischen Kirche. Das hatte auch einen positiven Effekt auf das katholische Vereinswesen. Die staatliche Diskriminierung der Katholiken – wie später auch der Sozialdemokraten – trug wesentlich zur Milieubildung bei. Die Wahl von Zentrumspartei oder SPD war nicht nur eine politische Entscheidung, sondern die Entscheidung für eine eigene Lebensweise und ein Milieu, das durch eine eigene Ideologie und Organisation nach außen abgegrenzt war. Der "Kulturkampf"  hatte damit weitreichende Folgen für die deutsche Parteiengeschichte.

Quellen

  • mündliche Informationen von Johannes Wyen aus Rath-Anhoven
  • Wilhelm Joliet aus Königswinter für seine Auskünfte zu seiner umfangreichen Sammlung in "Die Geschichte der Fliese".
  • Dr. Christa Grund, V&B Museum
  • Frau Strotmeier, Liebfrauenkirche in Dortmund
  • Diakon Heiner Renzel, St. Gudula in Rhede
  • Jan G.M. Put, Vicevoorzitter/secretaris parochiebestuur Heilige Geestparochie, Heldefelde, NL
  • Angelika Füßner, Pfarre St. Sixtus, Haltern am See
  • Dr. Oliver Karnau, LWL Denkmalpflege

Historischer Verein Wegberg e.V. - 18.02.2021 - Letzte Änderung: 23.06.2025

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